Blutegeltherapie - Mehr als nur Hokuspokus

Erfahren Sie mehr zur alternativen Behandlungsmethode der Blutegeltherapie

Die Blutegeltherapie wird in der Humanmedizin seit Jahrhunderten angewendet und gewinnt auch in der tiermedizinischen Anwendung immer mehr an Bedeutung. Der folgende Artikel soll einen Einblick in das Tier und das Arzneimittel Blutegel geben.


Der Blutegel und seine Eigenschaften

Das humane Fertigarzneimittel Blutegel hat die Besonderheit, ein lebendiges Arzneimittel zu sein und bedarf somit bezüglich der Handhabung und der Anwendung besonderer Aufmerksamkeit. Blutegel, die zur (tier)medizinischen Anwendung kommen, gehören zur Familie der Hirudinae und zur Gattung Hirudo. Insgesamt gibt es weltweit geschätzt 600 Blutegelarten, von denen ca. 15 zum (tier)medizinischen Einsatz kommen.
Blutegel, die in Deutschland zur Behandlung eingesetzt werden, gehören fast ausschließlich der Art Hirudo verbana an. Der oft erwähnte Hirudo medicinalis selbst ist nahezu ausgestorben.  Die Tiere sind wechselwarm und verbringen den überwiegenden Teil ihres Lebens im Wasser, in dem sie sich schwimmend fortbewegen. Sie können sich jedoch auch problemlos an Land aufhalten, solange sie nicht austrocknen.


🐍 Der Saugakt

Beim Biss saugt sich der Blutegel mit seinem vorderen Saugnapf an der Haut fest, sägt mit seinen Zähnen eine oberflächliche Wunde in die Haut und verletzt dort die Hautgefäße. Der Biss selbst wird häufig als leichter, brennnesselartiger Schmerz wahrgenommen. Kurz darauf beginnt der Speichel in die Wunde zu fließen. Der Saugvorgang, der weitgehend schmerzfrei bleibt, dauert je nach Größe des Blutegels 20 – 60 Minuten. Danach fällt der Blutegel gesättigt ab und die Nachblutung der Wunde beginnt, die bis zu 24 Stunden andauern kann. Die Nachblutung ist eine gewünschte Arzneimittelwirkung und kann gegebenenfalls durch einen Schutzverband (kein Druckverband!) abgedeckt werden. Pferde kommen komplett ohne Verband aus und können im Stall oder auf dem Paddock stehen bis die Nachblutung stoppt. Natürlich muss das behandelte Pferd sauber aufgestallt sein, da es sonst zu Verunreinigungen der kleinen Egelbisswunden kommen kann.


💧 Der Speichel und seine Substanzen

Von (tier)medizinischem Interesse ist der Speichel der Blutegel, der in ca. 36.000 Speichelzellen gebildet wird. Nach derzeitigem Kenntnisstand werden mit dem Biss und während des Saugvorgangs über 100 Speichelsubstanzen in die Wunde abgegeben, wovon bisher nur ein Teil charakterisiert werden konnte. Unter den Inhaltstoffen finden sich schmerzlindernde/antientzündliche, gefäßaktive und blutgerinnungshemmende sowie thrombozytenaggregationshemmende Stoffe.


🏥 Anwendungsgebiete in der Tiermedizin

Die  Anwendungsgebiete in der Tiermedizin sind vielfältig. Im Folgenden wird ein kleiner Einblick in die Nutzbarkeit der Hirudotherapie dargestellt. Der Speichel des Egels wirkt, wie bereits erwähnt, entzündungshemmend, blutgerinnungshemmend und dadurch durchblutungsfördernd, sodass Erkrankungen, die eine entzündliche Komponente und/oder mangelnde Durchblutung aufweisen, mit Blutegeln therapiert werden können. Allen voran ist die Arthritis/Arthrose zu nennen, denn hierbei kann die Blutegeltherapie ein wichtiger Baustein im Management betroffener Tiere sein, insbesondere wenn eine Unverträglickeit von klassischen Entzündungshemmern besteht. Natürlich kann der Egel eine Arthrose nicht heilen, aber er verringert die Entzündungsreaktion und dadurch den Schmerz. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind zum Beispiel: Bursitiden, Bänder-, Sehnen- und Sehnenscheidenerkrankungen, Hämatome (speziell das Othämatom bei Hund und Katze), Serome, Abszesse, Wundheilungsstörungen, Ekzeme (im Speziellen auch das Sommerekzem beim Pferd) und andere Dermatitiden (z.B. Mauke), Gefäßerkrankungen, Wirbelsäulenerkrankungen, Neuritiden, Zahn- und Kiefererkrankungen, Muskelerkrankungen, Narbenproblematiken und Hufrehe.

Bei Bursitiden ist das Egeln die Therapie schlechthin. Sowohl beim Kleintier als auch beim Pferd, sind Bursitiden nicht selten klassich tiermedizinisch schwierig zu behandeln. Mit der Egeltherapie gelingt hier häufig nach zwei bis dreimaliger Anwendung eine Rückbildung des verdickten Schleimbeutels bis hin zum physiologischen Zustand. Ähnlich verhält es sich beim Hämatom oder Abszess. Oft bleibt nach einem Hämatom oder einem Abszess eine Verhärtung in der Muskulatur zurück, die schmerzhaft sein kann. Die Blutegeltherapie verhindert bzw. beseitigt solch eine Verhärtung und stellt eine normale Funktionalität der Muskulatur wieder her.

Bei der Hufrehe ist die Egeltherapie, neben der klassischen tiermedizinischen Therapie, ebenfalls eine durchblutungsfördernde Maßnahme, die nicht zu unterschätzen ist. Die Hufrehe ist eine sehr schmerzhafte Erkrankung für das Pferd und hat meistens unschöne Folgen auf Haltung, Hufbearbeitung und ggf. Nutzbarkeit. Aus diesem Grund sollte jede Hufrehe sofort und mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, behandelt werden. Die Egeltherapie sollte soll schnell wie möglich in das tiermedizinische Behandlungskonzept mit eingebunden werden. Wir empfehlen hier mehrere therapeutische Einheiten mit vielen Egeln in kurzen Abständen.

Verklebungen, die bei diversen Entzündungen durch Proteinablagerungen zustande kommen – hier sei beispielhaft die Sehnenscheide bei Sehnenverletzungen genannt - können durch die Egeltherapie verhindert oder sogar später noch beseitigt werden. Im Speichel des Egels befinden sich u.a. „Protein zersetzende“ Enzyme. Zum Beispiel sind Hyaluronidase, Kollagenase und Destabilase zu nenen, die Hyaluronsäure, Kollagen und Fibrin spalten, sodass diese Produkte wieder besser über das Lymphsystem abtransportiert werden können. Die vorausgehende Diagnose einer Erkrankung spielt genauso wie das Einordnen des Stadiums, in der sich die Erkrankung befindet stets eine wichtige Rolle, wenn eine Egeltherapie erfolgreich angewendet werden soll. Es sollte nicht ein „Verdacht auf...“, sondern eine möglichst eindeutig diagnostizierte Erkrankung geegelt werden. So ist eine „Lahmheit vorne links“ keine Diagnose, sondern nur ein Symptom. Spätestens bei der Frage „was darf das Tier jetzt wieder machen“ ist eine eindeutige Diagnose unumgänglich. Denn nur wenn man genau weiß welche Struktur im Körper in welchem Ausmaß geschädigt wurde, kann man eine Aussage über die Prognose machen.  Es sollte erwähnt werden, dass die Hirudotherapie viele Heilungsprozesse beschleunigen, die damit verbundenen Schmerzen schnell lindern und eine allgemeine Funktionalität schneller wieder herstellen kann.


🐴 Ein interessantes Fallbeispiel

Am 07.04.2020 wurde ein 22 jähriger Wallach mit einer eitrigen Piephacke und beginnender Phlegmone am rechten Hinterbein nach Trauma vorgestellt. Die betroffene Gliedmaße war sehr schmerzhaft und das Pferd zeigte eine hochgradige Lahmheit. Die Vorbehandlung durch den Haustierarzt erfolgte mittels Gabe von einem Antibiotikum. Zum Zeitpunkt der Vorstellung stand das Tier seit drei Tagen unter Antibiose und die Behandlung wurde noch weitere 4 Tage fortgeführt. Die erste Egelbehandlung fand am Tag der Vorstellung statt (siehe Abbildung 4 a – c). Zwei weitere Egelbehandlungen wurden am 15.04.2020 (8 Tage nach der ersten Egelbehandlung) und am 21.04.2020 (6 Tage nach der 2. Egelbahndlung) angeschlossen. Das letzte Bild der Reihe zeigt das Ergebnis der Behandlung am 06.05.2020 (30 Tage nach der ersten Egeltherapie). Das Pferd war zum Zeitpunkt der Kontrolle lahmfrei und zeigte keine Druckschmerzhaftigkeit der Gliedmaße mehr.

 

🐴 Wann sollte eine Egeltherapie vermieden werden - Die wichtigsten Kontraindikatoren

Natürlich gibt es bei der Anwendung von Egeln, wie für andere Arzneimittel auch, Kontraindikationen. Die Egeltherapie entzieht Blut und ist dementsprechend belastend für den Körper. Es dürfen aus diesem Grund keine Bluterkrankungen (z.B. infektiöse Mittelmeererkrankungen) jeglicher Art vorliegen, wenn man diese Therapie anwenden möchte. Des Weiteren fördert die Egeltherapie die Durchblutung und kann somit das Wachstum bereits vorhandener, maligner (aber auch benigner) Tumore unterstützen.

➤     Bluterkrankungen (z.B. Anämie, Koagulopathien, Hämophilie, infektiöse Bluterkrankungen, Neoplasien)
➤     Maligne und benigne Neoplasien
➤     Infektionskrankheiten allgemein
➤     Fieber
➤     Schwerwiegende Organerkrankungen (z.B. Herz- und Niereninsuffizienzen, Lebererkrankunen)
➤     Schlechter Allgemeinzustand, Kachexie
➤     Immunsupprimierte Tiere
➤     Gleichzeitige Behandlung mit Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern

Relative Kontraindikationen müssen vor der Egeltherapie mit den Patientenbesitzern besprochen und Nutzen versus Risiken der Egeltherapie abgewogen werden. Das Egeln einer trächtigen Stute zum Beispiel beeinträchtigt die Trächtigkeit keinesfalls. Sollten aber nach der Blutegeltherapie unerwünschte Arzneimittelwirkungen, wie zum Beispiel eine Wundinfektion auftreten, wäre eine daraus resultierende medikamentelle Therapie eventuell problematisch. Magenulcerationen kommen häufiger bei unseren tierischen Patienten vor, weswegen diese realtive Kontraindikation stets vor Therapiebeginn explizit abgeklärt werden sollte. Bei bestehenden Allergien, zum Beipiel gegen Insektenstiche, sollte der Therapeut vorab klären, in welcher Weise das Tier darauf reagiert und einmal mehr darauf hinweisen, wie in einem Notfall vom Besitzer vorzugehen ist. Eine allergische Reaktion auf Insektenstiche bedeutet allerdings nicht, dass automatisch die gleiche Reaktion auf den Egelspeichel zu erwarten ist.

 

💉 Dosierung und unerwünschte Arzneimittelwirkung

Die Anzahl und Größe der verwendeten Egel müssen an die Größe bzw. an das Gewicht des Patienten angepasst werden. Maßgeblich hierfür ist die Kenntnis über das Volumen des Blutverlustes, der mit der Therapie einher geht.  Wie bei den meisten wirksamen Arzneimitteln können auch bei und nach der Blutegeltherapie unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten. Insgesamt werden diese beim Tier weitaus seltener beobachtet als beim Menschen. Gelegentlich werden Juckreiz, Rötung und Schwellung nach einer Blutegelbehandlung an den Bissstellen berichtet. Diese  leichten, unerwünschten Arzneimittelwirkungen können meist mit einfachen Mitteln behandelt werden. In so einem Fall ist besonders darauf zu achten, dass der Patient die Bissstellen nicht bearbeitet, um eine sekundäre Kontamination mit Bakterien der Haut und der Maulhöhle zu vermeiden. Seltener treten Lymphknotenschwellung, allergische Reaktionen und Infektionen auf.

 

§ Rechtliche Aspekte der Blutegeltherapie

Die Anzahl und Größe der verwendeten Egel müssen an die Größe bzw. an das Gewicht des Patienten angepasst werden. Maßgeblich hierfür ist die Kenntnis über das Volumen des Blutverlustes, der mit der Therapie einher geht.  Wie bei den meisten wirksamen Arzneimitteln können auch bei und nach der Blutegeltherapie unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten. Insgesamt werden diese beim Tier weitaus seltener beobachtet als beim Menschen. Gelegentlich werden Juckreiz, Rötung und Schwellung nach einer Blutegelbehandlung an den Bissstellen berichtet. Diese  leichten, unerwünschten Arzneimittelwirkungen können meist mit einfachen Mitteln behandelt werden. In so einem Fall ist besonders darauf zu achten, dass der Patient die Bissstellen nicht bearbeitet, um eine sekundäre Kontamination mit Bakterien der Haut und der Maulhöhle zu vermeiden. Seltener treten Lymphknotenschwellung, allergische Reaktionen und Infektionen auf.

👩🏼‍⚕️ Unser Fazit

Die Blutegeltherapie kann eine gute Ergänzung oder Alternative bei der Behandlung verschiedener, klar diagnostizierter Erkrankungen bieten. Vor der Anwendung ist es wichtig,  sich einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Therapie zu verschaffen. Zudem ist es nicht unerheblich, sich vorher Kenntnisse über das Tier Blutegel, dessen Verhalten und sein optimales Handling zu erarbeiten, sonst endet der Therapieversuch mit dem Ergebnis: „Die Blutegel beißen nicht“ oder „die Blutegel taugen nichts.“

 

Herzlichen Dank an unsere Autorinnen

Dr. Mirjam Lang
hat Tiermedizin an der JLU Gießen studiert. Danach folgten einige Jahre als Assistenztierärztin sowie die Promotion an der JLU Gießen. Das Betätigungsfeld erweiterte sich dann um eine zehnjährige Berufserfahrung im Bereich der klinischen Labordiagnostik. Seit dem Jahr 2018 arbeitet sie in der Biebertaler Blutegelzucht GmbH als Herstellungsleiterin, QM-Beauftragte und stellvertretende Stufenplanbeauftragte.

Dr. Carola Knemeyer
hat Tiermedizin an der JLU Gießen studiert. Danach folgten zwei Jahre als Tierärztin in der Pferdechirurgie der JLU Gießen. Währenddessen wurde die Weiterbildung zur DIPO-Pferdeosteotherapeutin absolviert. Eine eigene Pferdefahrpraxis mit Schwerpunkt Osteopathie für Pferde seit 2014 und weitere Fortbildungen in der Blutegeltherapie, Akupunktur, Lymphdrainage für Pferde sowie die DIPO Zertifizierung zur Sattelexpertin folgten. Von 2014-2016 arbeitete sie als Dozentin bei EWV für Osteopathie, seit 2017 ist sie als Dozentin für Blutegelseminare der Biebertaler Blutegelzucht GmbH tätig.

Biebertaler Blutegelzucht GmbH
Talweg 31 / 35444 Biebertal
Tel 06409-661400
Fax 06409-6614075
blutegel@blutegel.de
www.blutegel.de
www.blutegelseminar.de

 

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